Gesichtserkennungsprozesse im Kontext von Line-ups

In der polizeilichen Gegenüberstellung kann die Identifikation von Gesichtern der entscheidende Faktor für die Aufklärung eines Verbrechens darstellen. Aus praktischen und finanziellen Gründen wird mittlerweile kaum noch eine Gegenüberstellung in Präsenz durchgeführt, sondern auf die Methode der sogenannten Wahllichtbildvorlage (Photo-line-up) zurückgegriffen. Aufgrund aktueller Datenschutzbestimmungen werden bei diesen Photo-line-ups oftmals keine Distraktorbilder von real existierenden Personen vorgelegt, sondern Gesichter mit Fotobearbeitungsprogrammen neu kreiert. Dies geschieht häufig, indem Bilder von real existierenden Personen miteinander „vermischt“ werden, sodass aus den Bildern ein neues Gesicht entsteht (sogenanntes Morphing). Bislang gibt es jedoch nur wenige Studien dazu, inwieweit gemorphte Bilder womöglich anders wahrgenommen werden als nicht-gemorphte Bilder. Eine erste Studie konnte zeigen, dass gemorphte Bilder zumindest als attraktiver wahrgenommen werden, als nicht-gemorphte Bilder (Langlois & Roggman, 1990). Eine höhere Attraktivität könnte im Sinne des sogenannten Halo-Effekts (Dion et al., 1972) zu einer positiveren Attribution der abgebildeten Person und somit zu einer Beeinflussung der Identifizierungsleistung führen: Beschuldigtenbilder könnten weniger positiv attribuiert und häufiger als Täter:in ausgewählt werden. Eine Studie zeigt, dass Attraktivität die Auswahl im Photo-Line-up tatsächlich beeinflusst (Grüner et al., 2021). Der Einfluss von Morphing auf die Fairness von Photo-Line-ups wurde jedoch bislang nicht untersucht.

Im Rahmen des Projekts führen wir zwei Experimente durch, die sich der Frage widmen, ob Morphing einen Einfluss auf die Identifizierungsentscheidung der Zeug:innen hat. Wir verwenden hierbei zwei Manipulationsarten: zum einen kreieren wir gemorphte Bilder durch Vermischung von zwei Bildern zweier realer (und dem Beschuldigtenbild ähnliche) Personen. Zum anderen präsentieren wir karikierte Distraktorbilder. Gemorphte Gesichter weisen häufig „prototypische“ Gesichtszüge auf, da durch das Morphing markante Gesichtszüge einzelner Gesichter mit den Gesichtszügen anderer Personen gemittelt und somit weniger markant werden. Bei Karikaturen hingegen werden die markanten Gesichtszüge einzelner Personen hervorgehoben. Derartige Karikaturen werden als weniger attraktiv wahrgenommen als Originalbilder (Valentine et al., 2004). Karikaturen könnten im Sinne der wahrgenommenen Attraktivität daher einen Gegenpol und in der polizeilichen Praxis möglicherweise eine Alternative zu den gemorphten Bildern darstellen, da sie einen Bias „weg vom Täter“ bewirken würden. Sollte unter realen Umständen in einem solchen „Karikatur-Line-up“ trotz dieses Bias ein Beschuldigtenbild ausgewählt werden, könnte die Entscheidung als deutlich valider angesehen werden (die Auswahl wurde dann nicht auf Basis von Attraktivität/Sympathie getroffen, sondern sollte einer tatsächlichen Identifizierungsleistung zugrunde liegen). 

Projektteam

Prof. Dr. Silvia Gubi-Kelm

Prof. Dr. Silvia Gubi-Kelm
Dean Faculty Human Sciences
Professor for Legal Psychology and Psychological Diagnostics

Fon:  040.361 226 49360
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